Freitag, 26. Juli 2013

Zeitphilosophie und Physik

Der Physiker, Ingenieur oder Techniker bedarf an sich keiner Zeitphilosophie. Um die Zeit zu messen, benötigt er neben anderen Finessen moderner Messtechnik vor allem eine gleichmäßig gehende Uhr, um die Zeitdauer zwischen zwei Ereignissen zu messen. Aufgrund seiner praktischen Erfahrung wird er sich gern mit dem Prinzip von Einsteins Relativitätstheorie anfreunden, wonach Zeit das ist, was wir von der Uhr ablesen.

Allerdings enthält dieses Prinzip keine Aussage darüber, was die Zeit eigentlich ist. Existiert sie eigenständig oder als Eigenschaft der Welt? Ist sie lediglich ein abstraktes Ordnungsprinzip? Ist sie ein angeborenes Denkprinzip? Verläuft sie von Natur aus gleichmäßig? Über diese und ähnliche Fragen zerbrechen sich Philosophen seit der Antike den Kopf. Aristoteles, Newton, Leibniz, Kant, sie alle kamen zu unterschiedlichen Vorstellungen von Zeit. Für viele ist die Zeit, wie für Augustinus, ein Rätsel, und einige behaupten gar, die Zeit sei eine Illusion.

Um 1900 gab es, ebenso wie heute, keine einheitliche und allgemein akzeptierte Auffassung von Zeit. Die Physik hielt sich an Newton, die Philosophie im deutschsprachigen Raum überwiegend an Kant. Mit Einsteins Relativitätstheorie von 1905 wurde die unreflektierte Erfahrung, wonach Zeit das ist, was wir von der Uhr ablesen, zur philosophischen Maxime erhoben. Dass die spezielle Relativitätstheorie grundlegende Denkprinzipien in Frage stellt und zur Verstandeslogik im Widerspruch steht, führte zunächst zu breiter Ablehnung durch Physiker und Philosophen. Kritisiert wurden z. B. die Relativität der Gleichzeitigkeit, der Wegfall der einheitlichen Wirklichkeit zugunsten subjektiver Beobachterwirklichkeiten, die Lichtgeschwindigkeit als Naturkonstante, der unterschiedliche Zeitverlauf in unterschiedlich bewegten Systemen und die damit verbundene Möglichkeit von Zeitreisen. Auf der anderen Seite fand Einstein einflussreiche Förderer wie Max Planck, was von entscheidender Bedeutung war.

Erst nachdem Eddington 1919 die Ablenkung des Sternenlichts durch die Schwerkraft der Sonne als Bestätigung der allgemeinen Relativitätstheorie wertete und dies zunächst von der New York Times und danach von den Massenmedien in Europa zur Weltsensation hochgejubelt wurde, kam der Durchbruch. Über Nacht wurde Einstein weltberühmt. Dass schon über 100 Jahre zuvor der bayerische Astronom und Mathematiker Johann Georg Soldner die Lichtablenkung durch die Schwerkraft der Sonne berechnet hatte, war kaum bekannt und ging im allgemeinen Begeisterungstaumel über den gekrümmten Raum und Zeitreisen unter.

Die Relativitätstheorie macht Aussagen über die Zeit mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Da sie als naturwissenschaftliche Theorie präsentiert wird, gibt es nur zwei Möglichkeiten: richtig oder falsch. Daraus folgt vom Standpunkt der Physik aus, dass abweichende philosophische Zeittheorien falsch sein müssen. Damit beginnt eine verhängnisvolle Entwicklung. Der ausschliessliche Wahrheitsanspruch der Relativitätstheorie wurde nach und nach durchgesetzt, zuerst an den Universitäten, dann in der Öffentlichkeit. Neue Denkansätze und Erkenntnisse wurden blockiert. So zum Beispiel die aus der evolutionären Erkenntnistheorie folgende Einsicht über den kausalen Zusammenhang zwischen der zeitlichen Struktur der Welt und der angeborenen zeitlichen Struktur unseres Denkens. Gern gesehen und gefördert werden dagegen zeitphilosophische Ansätze, die auf irgend eine Weise mit der Relativitätstheorie vereinbar sind.

Wer eine abweichende Zeitphilosophie vertritt, muss sich zwangsläufig mit der Relativitätstheorie kritisch auseinander setzen. Die Kritik an der Relativitätstheorie gilt jedoch nicht nur an den Universitäten, sondern auch in den Medien und Verlagshäusern weitgehend als öffentliches Tabu und findet daher überwiegend im Internet statt. Die Relativität ist zur herrschenden Ideologie geworden. Die Kritiker werden hierzulande als Cranks diffamiert und nicht selten pauschal des Antisemitismus verdächtigt, um die sachliche Auseinandersetzung mit den kritischen Argumenten zu vermeiden. Doch Vernunftwahrheit und Verstandeslogik lassen sich auf Dauer nicht unterdrücken.